Obwohl die Ansteckungsrate durch SARS-CoV 2 bei Kindern ähnlich ist wie die bei Erwachsenen, erkranken Kinder häufig nicht oder zeigen nur milde Symptome. Das Ansteckungsrisiko durch Kinder scheint geringer zu sein als durch Erwachsene. Trotz dieser im Laufe des zurückliegenden Jahres gewonnenen Erkenntnisse, dass Kinder in Kindergärten und Schulen nicht die Treiber der Pandemie sind, kann im Moment weltweit eines von fünf Kindern wegen Corona-bedingter Schließungen nicht zur Schule gehen (Daten von UNICEF). Ein direkter Austausch mit Gleichaltrigen ist für die gesunde Entwicklung der Kinder und Jugendlichen notwendig. Die Schließungen von Kindergärten und Schulen haben insbesondere für benachteiligte Kinder und Jugendliche zu einer beispiellosen Unterbrechung von Bildung, Freizeitmöglichkeiten, sozialem Lernen unter Gleichaltrigen, Gesundheit, Sicherheit, Schutz, manchmal einer warmen Mahlzeit u.v.m. geführt.
Die Kinder- und Jugendärzte berichten von einem noch nie dagewesenen Rückgang der Praxiskonsultationen, nicht nur bei den akuten Vorstellungsanlässen, sondern auch bei der Wahrnehmung von Vorsorgen und Impfungen. Selbst chronisch kranke Patienten suchen die Praxen und Krankenhausspezialsprechstunden weniger häufig auf als zuvor. Es dauert länger, bis Eltern kranker Kinder den Arzt konsultieren. Das hat dazu geführt, dass lebensbedrohliche Krankheitsbilder wie z.B. schwere Ketoazidosen als Erstmanifestation des Typ-1-Diabetes und Appendizitis-Fälle mit Perforation in einem riskanten späten Stadium behandelt werden mussten. Darüber hinaus mehren sich die Berichte zur kritischen psychischen Situation vieler Kinder und Jugendlichen und den sich daraus ergebenden psychischen Störungsbildern. Die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben sich in Deutschland im Verlauf der Corona-Pandemie weiter verschlechtert.
Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben in der COPSY (Corona und Psyche)-Studie im Sommer 2020 und im Winter 2021 mehr als 2600 Kinder, Jugendliche und Eltern befragt. Fast jedes dritte Kind leidet seit dem letzten Jahr an psychischen Auffälligkeiten: Sorgen, Ängste, Rückzug, Kopf- und Bauchschmerzen. Die Kinder ernähren sich weiterhin ungesund mit vielen Süßigkeiten. Zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie machen keinen Sport mehr. Parallel dazu verbringen die Kinder noch mehr Zeit an Handy, Tablet und Spielekonsole. Der Berufsverband der Vertragspsychotherapeuten hat die Therapeuten und Kinderärzte befragt und die Daten von 10 000 Kindern analysiert. Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Zunahme von Leistungsabfall, Versagensängsten, deutliche Gewichtszunahme und einen übermäßigen Medienkonsum.
Zunehmend kommen die Familien mit Homeoffice und Homeschooling an ihre Grenzen. Hinter verschlossenen Türen wachsen Stress und Frustration. In vielen Familien droht die Gewalt zuzunehmen, die Fälle von Misshandlung und Missbrauch. Deutschlands Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten haben inzwischen 60% mehr Therapieanfragen als vor der Pandemie und sehen Schwierigkeiten in der Versorgung. In einem offenen Brief betonen sie, dass sich bundeslandübergreifend in der kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung vermehrt Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen, Essstörungen und Substanzmissbrauch zeigen. Zudem wird ein Anstieg von Patienten berichtet, die aufgrund von akuter Suizidalität/Krisen oder nach häuslicher Eskalation kinder- und jugendpsychiatrisch versorgt werden müssen. In der kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung hat die aktuelle Entwicklung zunehmend zur Folge, dass reguläre Behandlungen zugunsten von Kriseninterventionen aufgeschoben werden oder ausfallen müssen. Der Fokus liegt auf stark belasteten Kindern und Jugendlichen, so dass viele Patienten nicht hinreichend versorgt werden.
Die Probleme zeigen sich über alle Altersgruppen hinweg:
• Eltern von Kleinkindern berichten vermehrt von Trennungsängsten beim Übergang in die Notbetreuung. Im häuslichen Rahmen schildern sie Verhaltensauffälligkeiten. Die Kinder zeigen unkontrollierte Wutausbrüche, Aggressionen und Schlafprobleme. Gegenwärtig erscheinen ihnen die vorgestellten Patienten jünger als üblicherweise.
• Insbesondere bei Schulkindern, die im Sommer bedeutsame Transitionen wie die Einschulung oder den Wechsel zur weiterführenden Schule bewältigt haben, ist derzeit die Häufung von Schulängsten auffällig. Bereits vor Pandemiebeginn bestehende Schulängste verstärken sich durch den unregelmäßigen Schulbesuch.
• Die Adoleszenten zeigen sich ebenso deutlich belastet. Besonders die Altersgruppe der jüngeren Adoleszenten muss als stark gefährdet hinsichtlich missbräuchlicher Medien- und Internetnutzung und die Entwicklung von Essstörungen angesehen werden. Für sie gibt es durchgehend keine Notbetreuungsangebote. Oft werden sie sich selbst überlassen, zumal sie in einem Lebensalter sind, in dem sie um Autonomie ringen und sich von den Eltern oft nicht leicht anleiten lassen.
In einem Interview der HNA Kassel vom 5.3.2021 konnte der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Jochen Krämer noch keine Antwort auf die Frage geben, welche der negativen Folgen wieder verschwinden und welche bleiben sowie welche langfristigen Folgen sich noch entwickeln. Bei psychischen Störungen kann es zum Teil mehrere Monate dauern, bis sie sich manifestieren. Die negativen Auswirkungen der Pandemie kommen nicht überraschend. Schon im Mai 2020 wiesen die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und die Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung auf die Gefahren von Schulschließungen für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hin. Umso schwerer wiegt es, dass in den politischen Entscheidungen die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen kaum berücksichtigt wurden.
Der Bundestag hat sich am 25.3.2021 erstmals mit Anträgen zum Umgang mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Norbert Müller (Die Linke) äußerte, dass es für seine drei Söhne seit einem Jahr keinen Normalzustand mehr gäbe. Sie hätten erlebt, wie Schulen und Kitas geschlossen wurden und sie in Quarantäne mussten, weil Kinder, die sie nicht einmal kannten, positiv getestet wurden. Kindergeburtstage seien ausgefallen, Familienkontakte eingeschränkt, Vereinssport gäbe es nicht mehr, auch Familienurlaube seien ausgefallen. So gehe es 14 Millionen Kindern in Deutschland, von denen viele Existenzängste hätten, in beengten Wohnverhältnissen lebten und finanziell nicht abgesichert seien.
Viele Eltern sorgen sich um die Verträglichkeit der Masken für ihre Kinder. In den Bundesländern wird je nach Alter, Aufenthaltsort und dem Infektionsgeschehen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zum Fremdschutz auch für Kinder empfohlen oder vorgeschrieben. Meist sind Kinder unter 6 Jahren hiervon ausgenommen. Empfohlen wird das Tragen einer Op-Maske. FFP2-Masken können in Schulen von Jugendlichen verwendet werden. Voraussetzung ist das korrekte Tragen einer passenden Maske. Die Maskengrößen sind nicht standardisiert und auf Erwachsene zugeschnitten. Damit dichten sie bei Kindern unter 12 Jahren nicht ausreichend ab. Das Team um Dr. Silke Schwarz und Prof. Dr. Ekkehart Jenetzky an der Universität Witten/Herdecke forscht in einer noch laufenden Corona-Kinderstudie zum Thema: Wie gut vertragen Kinder Masken? Bisher wurden über 25 000 Fragebögen aus ganz Deutschland ausgewertet. Bei einer durchschnittlichen Tragedauer von 270 Minuten am Tag waren bei 68% der Kinder Belastungen festzustellen. Zu den am häufigsten genannten Nebenwirkungen zählten Gereiztheit (60%), Kopfschmerzen (53%), Konzentrationsschwierigkeiten (50%), weniger Fröhlichkeit (49%), Schul- und Kindergartenunlust (44%), Unwohlsein (42%), Beeinträchtigungen beim Lernen (38%) und Benommenheit/Müdigkeit (37%). Zudem wurde bei 25% der Kinder angegeben, dass sie neue Ängste entwickelt hätten. Ein völlig vernachlässigter Aspekt ist auch, dass die Mimik der Bezugspersonen für eine gesunde Entwicklung der Heranwachsenden eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.
Unsere Kinder sind uns von Gott anvertraut und brauchen unseren Schutz. Gott liebt Kinder ganz besonders. In Matthäus 19, 14 sagt unser HERR Jesus Christus: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes!
Irrt euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. (Galater 6, 7)
Zusammenfassend kann man eigentlich nur mit den Worten des Neurobiologen Dr. Gerald Hüther sagen: „ Wir können den Kindern das nicht länger zumuten, was wir hier machen. Das ist eigentlich unbegreifbar, wie es eine Erwachsenengeneration fertigbringt, den Kindern solche Auflagen vorzugeben, die die Kinder eigentlich nur erfüllen können, indem sie ihre eigene Lebendigkeit, ihre lebendigen Bedürfnisse unterdrücken.“
Dipl.-Med. Sabine Kirchner
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Quellenangaben:
1) Indirekte Covid-19 Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendgesundheit, Kinder- und Jugendarzt Nr. 3/21
2) COPSY-Studie. Kinder und Jugendliche leiden psychisch weiterhin stark unter Corona-Pandemie, Kinder- und Jugendarzt Nr.3/21